the legal column...

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Freitag, 14. Oktober 2011

Absolute Straftheorie

Benevole lector,

Sie kennen die Hegelsche Negation der Negation? Nein? Schade, das würde mir einige Erklärungen ersparen. In dieser Geschichte geht es um ein ehemals überaus liebreizendes, weibliches Geschöpf – meine Tochter, die seit geraumer Zeit eine Metamorphose zu einem launischen, ignoranten Monster durchmacht hatte  – oder einfacher gesagt: sie war in der Hochphase der Pubertät angekommen.

In der letzten Verbalschlacht, die ich zunächst erfolgreich für mich verbuchen konnte, es ging wie so oft um das abendliche Ausgehen am Wochenende, gab sie nach tagelangen zähen und tränenreichen Verhandlungen, diversen Wutausbrüchen, die nicht unerheblichen materiellen Schaden unseres Familienhausstandes verursachten, augenscheinlich klein bei und ließ sich durch ein striktes Machtwort meinerseits zur Kapitulation bewegen – gegen Ausgleichszahlung versteht sich. Um nicht völlig als unerbittliche Führerin zu erscheinen, sondern als wohlmeinendes Muttertier, bewilligte ich die Zahlung in Form eines neuen Kleidungsstücks und sonnte mich im ruhmreichen Siegesgefühl.

Dass dieses Gefühl verfrüht war, zeigte sich bereits zwei Tage später – Samstagabend. Das Monster verabschiedete sich mit einem zuckersüßen Lächeln in die untergehende Samstagsabendsonne, nachdem es zuvor den halben Tag mit exzessivem äußerlichen Dekorieren seiner Statur und gleichzeitigem Dauertelefonieren mit der besten Freundin verbracht hatte. Mit leichtem Bauchgrummeln ob der übertriebenen Körperdekoration, aber mit dem Wissen, dass man als Mutter auch loslassen muss, blickte ich ihr nach.

Sechs Stunden später fand ich mich wütend nach Luft schnappend und Flüche ausstoßend am Telefon wieder – am anderen Ende die Mailbox des Monsterhandys. Dreist hatte das Monster die vereinbarte Ausgehfrist ignoriert und verweigerte nun auch die mobile Kommunikation. Sieben Stunden später fand ich mich völlig aufgelöst und zitternd vor Sorge auf dem Wohnzimmersofa wieder. Das Monster war immer noch nicht eingetroffen.

Acht Stunden später: gleiche Befindlichkeit, anderer Ort – ich kauerte zähneklappernd vor der Haustür. Neun Stunden später: das Monster schloss die Tür auf, torkelte selig lächelnd in einer Wolke aus Alkohol, billigem Parfum und dem Geruch nach irgendwelchen Kräutern an mir vorbei und entschwand in seine Höhle. Nachdem ich mich von meinem sprachlosen Erstaunen erholt hatte, brach ich todesmutig die Tür zur Höhle auf. Ein grauenvoll röhrendes Grollen empfing mich und ein widerliches Duftkonglomerat raubte mir den Atem. Ich schloss die Türe wieder und entschloss mich, Vernunft und Weisheit walten zu lassen und das Monster bei Tageslicht zu erlegen.

Seufzend legte ich mich auf mein Nachtlager und bevor ich einschlief, erstellte ich noch einen ausführlichen Fragenkatalog, den ich dem Delinquenten, also dem Monster, am morgigen Tag vorlegen würde und überlegte, ob und welche Strafen oder Maßregelungen in diesem Fall angemessen seien.
Ich verwarf den kategorischen Imperativ Kants in der Straftheorie, dass Strafe sein müsse, damit Gerechtigkeit herrsche. Dies schien mir in diesem Fall kontraproduktiv zu sein, insbesondere deshalb, weil ich mich der Impulsivität und der Irrationalität des Monsters erinnerte und außerdem um den noch verbliebenen, heilen Hausstand bangte.

Also zog ich Hegels Theorie des dialektischen Prinzips heran. Für Herrn Hegel stellt die Rechtsordnung, also ich, den „allgemeinen Willen“ dar, gegen den das Monster mit einer Rechtsverletzung verstoßen hatte. Der „besondere Wille“ des Monsters ist nach Hegel eine Negation der Rechtsordnung, will heißen, die Rechtsverletzung des Monsters bringt mich, die Rechtsordnung in einen negativen Bereich, was mir nicht Recht sein kann.
Oder um es einfacher auszudrücken: Unter Normaltemperatur befinde ich mich im Gleichgewicht. Steigt meine Temperatur und nähert sich einem Ausnahmezustand, der sich z.B. in einem physischen wie psychischen Wutausbruch manifestiert, welcher wegen des teenageresken Verhaltens des Monsters leicht denkbar ist, kippt mein Gleichgewicht in einen negativen Bereich. Um nun wieder ins Gleichgewicht zu kommen, sagt Herr Hegel, wenden wir die Strafe an. Dem geneigten Leser dürfte klar sein, dass die Strafe per definitionem bereits einen negativen Charakter hat; er möge sich an Hausarrest und Fernsehverbot, beliebte Strafen der aktuellen Elterngeneration 60+,  in seiner Jugend erinnern.

Durch die Bestrafung des Monsters also, vermeldet Herr Hegel weiter, wird die Rechtsverletzung ihrerseits negiert. Er geht sogar noch darüber hinaus und bekräftigt, dass damit der ursprüngliche Zustand aufgehoben wird. Er meint damit, dass die Rechtsordnung, also immer noch ich, mit dem Aufbrummen einer Strafe über sich selbst hinausgewachsen ist und sich damit bewährt hat. Ich bin also bewährtes Recht. Ein Umstand, der mir schmeichelte, daher verneigte ich mich geistig vor Herrn Hegel und sah mich in meinen Überlegungen über eine angemessene Bestrafung für das tolldreiste Monster bestätigt.

Beflügelt von meinem neuen erleuchteten Zustand stand ich auf und fertigte beschwingt eine Excel-Tabelle mit verschiedenen Strafen und ihren möglichen Folgen an. Lange hielt dieser wunderbar meditative Schwebezustand, der mich fast ins Nirwana vordringen ließ, nicht an, denn in einer mausgrauen, versteckten Hirnwindung sprang plötzlich eine verloren geglaubte Erinnerung hervor: Mathematik! Tatsächlich verkündete mir diese Erinnerung mit recht überheblich klingender Stimme, dass bei korrekter Anwendung einer algebraischen Struktur Minus mal Minus ein Plus ergäbe. Andererseits stünde bei der Addition negativer Zahlen auch ein negatives Ergebnis. 

Hatte Herr Hegel da etwas übersehen? War es eine Dagegen-Entscheidung, weil er sich weder der einen noch der anderen Theorie anschließen wollte? Warum noch eine dritte Theorie? Man könnte anmerken, dass das Hegelsche Ergebnis ja nicht nur Null, statt „Plus“ wie in der algebraischen Struktur, sondern eine erhöhte Null ausweise, jedoch weigerte ich mich anzuerkennen, dass eine erhöhte Null etwas Positives sein sollte.

Ich kam zu dem Schluss, dass sowohl Hegel als auch alle anderen patriarchalischen Erschaffer irgendwelcher Theorien, die Erziehung ihrer Kinder vermutlich vollumfänglich der jeweiligen Erzeugerin überlassen hatten. Ich sah mich genötigt, mein eigenes Hirn zu motivieren, um eine zufriedenstellende Lösung zu erarbeiten – Deadline: früh am nächten Morgen. Mein Hirn mag mich nicht im Wachzustand und arbeitet lieber, wenn ich es nicht dabei beobachte, also suchte ich Zuflucht in Morpheus‘ Armen. Zwei Stunden später war es soweit, der Morgen graute und ich erwachte gestärkt. Der Lösungsvorschlag meiner grauen Windungen hörte sich überraschend sinnvoll an: Es wäre vermessen, zu glauben, dass man eine Krankheit heilen könne, indem man die Symptome mit irgendwelchen Mitteln, die unerwünschte Nebenwirkungen hervorrufen können, zu betäuben suche. Die einzige Lösung läge in der Bekämpfung der Ursache.

Ich lobte jede meiner Hirnwindungen für diese grandiose Team-Lösung und beschloss umgehend die Umsetzung. Die Ursache der Rechtsverletzung musste erkannt und bekämpft werden! Was war die Ursache? Richtig, das Monster. Kurzentschlossen biss ich die klappernden Zähne zusammen, stieg ich in dessen Höhle und drückte ihm ein Kissen aufs Gesicht, bis die grausigen Gurgelgeräusche verstummten.

Mit der Gewissheit des inneren Gleichgewichts hüpfte ich summend die Treppe hinunter in die Küche und bereitete mir, den nahenden Tag voller Gelassenheit begrüßend, einen Tee mit dem entspannenden Namen „Innere Balance“ zu. Teeschlürfend wusste ich jedoch, dass diese Balance nur von kurzer Dauer sein konnte, weil ich selbst ebenfalls das Recht verletzt hatte. Laut logischer Konsequenz hätte nun mein Suizid folgen müssen, aber ich beschloss, mir noch ein paar Stunden Restlaufzeit zu genehmigen und vielleicht als Einzelfallentscheidung letztendlich der algebraischen Struktur den Vorzug zu geben.

In diesem Sinne, ipso iure!

(c) Daniela Röcker 2011
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