the legal column...

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Dienstag, 31. Mai 2011

§ 323c StGB - Unterlassene Hilfeleistung

Benevole lector,

der Mattes will mich verklagen. Das muss man sich mal vorstellen! Nur, weil er sich NICHT mit diesem EHEC-Erreger infiziert hat, sondern nur einen lausigen 08/15-Durchfall hatte. Aber ich muss von vorne anfangen – ich bin Jupp, Jupp Schmitz und seit 30 Jahren Herr des Hauses in der Eckfahne, der besten Kneipe Kölns. Ungefähr genauso lange ist der Mattes schon Stammgast bei mir. Jetzt kam Mattes vor zwei Wochen in die Verlegenheit, dass seine Frau Karten für die Premiere von Don Giovanni im Kölner Opernhaus gewonnen hatte und ihre beste Freundin mit Gallensteinen im Krankenhaus lag. Mattes musste also mit in die Oper. Weil der aber so überhaupt nichts für diese Art von Musik übrig hat, klagte er mir sein Leid. Als guter Gastwirt und Psychologe bot ich ihm kameradschaftlich meine Unterstützung an.

Und während wir so überlegten, welche Taktik wir dabei anwenden könnten, fiel mein Blick auf die Steige mit Salatgurken aus Spanien, die ich morgens vom Großmarkt mitgebracht hatte. Unser Plan war grandios: der Mattes sollte ein oder zwei von den Salatgurken essen, ungewaschen natürlich. Dann würde sich innerhalb von gut geschätzen 5-6 Tagen der Durchfall einstellen, was nach unserer Berechnung exakt mit dem Termin für die Opernjaulerei korrespondiert hätte. Ich stellte weitere Recherchen an, um sicher zu sein, dass die Salatgurken tatsächlich auch von einem der Hersteller stammten, die in übelster Weise illegale Erntehelfer ausbeuteten. Nach einem kurzen Telefonat konnte ich dem Mattes freudestrahlend verkündigen, dass der Exporteur genau jener Spezies angehörte und zudem noch regelmäßig Abwasser aus der Umgebung für die Bewässerung seiner Gemüsepflanzen verwendete. Mattes, hochzufrieden über die positive Nachricht, vertilgte vor Freude gleich sechs Gurken. Danach war ihm ein wenig schlecht, was er aber heroisch in Kauf nahm und mit drei Doornkaat versiegelte.

Nun trat jedoch unglücklicherweise eine Reihe von Ereignissen auf, die ich nach bestem Wissen und Gewissen nicht im Voraus berechnen konnte und daher als höhere Gewalt einstufe, was mich, meiner Meinung nach, von jeder Gewährleistung frei spricht. Zunächst begann der Durchfall von Mattes früher als erwartet. Nämlich bereits in der darauffolgenden Nacht. Das alleine wäre noch nicht der Worst-Case gewesen, jedoch hielt diese Diarrhö weitere zwei Tage an, weshalb er erstens auf das freitägliche Spanferkelessen in unserer Stammkneipe verzichten musste und zweitens, was schlimmer wog, ein Heimspiel vom FC verpasste, für das er sich extra eine Tribünenkarte besorgt hatte und welches die Spacken auch noch mit 2:1 gewannen. Am Sonntag nach dem Spiel schleppte sich Mattes in die Eckfahne und beschimpfte mich in übelster Weise. Dies tangierte mich emotional jedoch nicht, da derartige Wortäußerungen im Laufe der letzten 30 Jahre durchaus häufiger vorgekommen war.

Ich bot Mattes an, einen zweiten Gurken-Versuch zu starten, was er mit einem positiven Grunzen befürwortete. In Anbetracht der Tatsache, dass von der Steige Gurken nur noch acht Gurken übrig waren, die restlichen hatte ich zu Salat verarbeitet und als kostenlose Beilage zur Currywurst mit Pommes gereicht, machte sich der Mattes auch noch über 10 leicht angeschimmelte Tomaten des gleichen Lieferanten her, welche in der Gemüseschublade neben den Rindsbratwürsten in meiner Küche lagerten. Es war spät geworden an diesem Sonntag und da der Mattes am nächsten Tag Geburtstag hatte, schlug ich vor, diesen gebührend feiernd zu begrüßen und kredenzte großzügig zwei Flaschen Champagner, die seit der Einweihung der Kneipe unter dem Tresen lagen. Um den Auftrag und den Abend erfolgreich zu beschließen, spielten wir noch eine Runde Dosenstechen und als sich noch zwei weitere, sehr liebe Stammgäste dazu gesellten, leerten wir mit drei Runden Türmchentrinken meinen gesamten Doornkaat-Vorrat. Besonders rührend fand ich, dass die beiden anderen an Mattes‘ Geburtstag gedacht hatten und ihm eine Jahreskarte für den FC schenkten. Mit rotem Schleifchen drumrum und Geißbock-Aufkleber.

Gegen drei Uhr nachts meinte der Mattes, dass dem Erfolg der Mission nun sicher nichts mehr im Wege stünde, entledigte sich seiner Hose und seines Hemdes, machte es sich auf der Sitzbank am Fenster bequem und entschnarchte selig. Als guter Kneipier weiß ich natürlich, dass man einen Stammgast um diese Zeit nicht mehr nach Hause fahren lässt und deckte ihn fürsorglich mit der braun-weiß-karierten Tischdecke zu, winkte noch den beiden anderen hinterher, die sich auf den Nachhauseweg machten und begab mich dann selbst in meine Schlafgemächer. Am anderen Morgen gegen 13 Uhr betrat ich den Gastraum und fand ihn leer vor. Die Tischdecke war wieder ordentlich über den Tisch ausgebreitet  und ein 20-EUR-Schein lag neben dem Aschenbecher. Schmunzelnd steckte ich den Schein ein, weil ich Mattes' Geste, für das Übernachten in dieser Form zu zahlen, schon immer allerliebst fand. Ich wette, dass keine Kneipe in Köln nettere Stammgäste hat.

Und nun das! Als der Durchfall, vulgo: EHEC-Erkrankung, sich nach zwei Tagen bei Mattes nicht blicken ließ und er daher tatsächlich seiner Frau in die Oper folgen musste, ist bei ihm vermutlich eine Sicherung durchgebrannt. Er drohte, mich wegen unterlassener Hilfeleistung nach § 323c StGB zu verklagen. Ich hätte ihm in einer Notsituation nicht geholfen, obwohl für mich keine Gefahr bestanden hätte. Erst nachdem ich ihn damit konfrontierte, dass ich ihm schon aus diversen Notsituationen in den letzten Jahrzehnten geholfen hätte; ich erinnerte ihn unter anderem an meinen Schwur vor seiner Frau, dass er drei Monate lang jeden Donnerstag bei mir an der Theke gestanden hätte, obwohl er sich mit Irmchen, der Kioskfrau in meinem Schlafzimmer verlustiert hatte, wurde er etwas nachdenklich. Dennoch ließ er sich nicht beeindrucken, sondern meinte, wenn er mit unterlassener Hilfeleistung nicht weiter käme, würde er mich auf Schadensersatz für die Zerstörung seiner Gesundheit aufgrund des regelmäßigen Alkoholkonsums in meiner Kneipe verklagen.

Auf meine Frage nach der Grundlage, höhnte er besserwisserisch, er hätte mit mir einen Beherbergungsvertrag nach § 701 BGB abgeschlossen, daher wäre ich schadensersatzpflichtig. Meinen Einwand, dass ich erstens kein Hotelier sei und zweitens ich, falls ersteres trotzdem zuträfe, nur für vom Gast eingebrachte Sachen haftbar wäre, wischte er abfällig zur Seite und fragte scheinheilig, warum ich dann die 20 EUR Übernachtungsobolus annähme. Außerdem wäre eine Sache nach § 90 BGB ein körperlicher Gegenstand und es sei wohl kaum zu widerlegen, dass er in diesem Sinne seinen Körper in die Kneipe eingebracht hätte. Also, ich finde, an diesem Punkt hört die Freundschaft auf, deshalb mache ich jetzt von meinem Pfandrecht als Gastwirt nach § 704 BGB Gebrauch und behalte die Jahreskarte vom FC bis der Mattes wieder normal tickt!

In diesem Sinne, ipso iure!
 
(c) Daniela Röcker 2011
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